Flüchtlinge und Amis
- Nachkriegszeit -
 
 
 
 
 
Begegnung am Hardgraben: Maria und Liesl, die beiden Flüchtlingsfrauen
Erfahrungsaustausch über die Wiederverwendung von Weggeworfenem
     
Manuskripttext    
     
 

[Es wirken mit: Sprecher und Sprecherin, zwei Flüchtlingsfrauen Maria und Liesl, uniformierter Waldaufseher]

Sprecher: Sprecher (S), zwei Flüchtlingsfrauen Maria (M) und Liesl (L); Polizist (P)

Sprecher: Und hier sind das Original-Protokoll und der Original-Beschwerdebrief von damals! (hält Protokollbuch hoch)

Knappe einhundert Jahre sind es nun bis zu unserem nächsten Sketch. In dieser Zeit gibt es viel Neues für die Kirchfarrnbacher.

Das Eisenbahnfahren wurde 1864 ab Langenzenn möglich, dreißig Jahre später konnte man dann zum näheren Wilhermsdorfer Bahnhof gehen.

Viel Neues gab es in Kirchfarrnbach selbst: 1865 wurde die neue Schule gebaut, das Kirchenschiff 1891erneuert und das neue Pfarrhaus konnte 1901 bezogen werden. Also merken wir uns: Schulhaus, Kirchenschiff, Pfarrhaus.

Zwei wichtige Vereinsgründungen gab es: 1897 Freiwillige Feuerwehr und fünf Jahre später, 1902 den Gesangverein „Eintracht“ Kirchfarrnbach.

Ein Leben ohne Telefon und elektrischen Strom können wir uns heutzutage gar nicht mehr vorstellen, und doch sind die Kirchfarrnbacher bis etwa 1910 zurechtgekommen: 1909 konnte man zum ersten Mal in Kirchfarrnbach telefonieren, also vor 94 Jahren. 1911 wurde Kirchfarrnbach zum ersten Mal mit elektrischen Strom versorgt.

In vier Kriegen mussten immer mehr Menschen ihr Leben lassen, bei jedem Krieg etwa doppelt so viele wie beim vorangegangenen.

Fünf Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, also vor 80 Jahren, wurde im Jahr 1923 das Kriegerdenkmal errichtet.

Sprecherin: Im Zweiten Weltkrieg wurden die Städte bombardiert und die Bewohner flüchteten aufs Land. Nach Kirchfarrnbach kommen aber auch besonders viele Flüchtlinge aus Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetengau. Sie hatten nichts und mussten schauen, wie sie irgendwie sich über Wasser halten konnten.

Sprecher: Während die Gemeinde Kirchfarrnbach, also die Orte Kirchfarrnbach und Dürrnfarrnbach, 1942 noch 296 Einwohner hatte, stieg die Zahl 1946 auf 459. Das war die höchste Einwohnerzahl, die Kirchfarrnbach je erreicht hat. Die ankommenden Flüchtlinge wurden von der Gemeindeverwaltung auf die Anwesen verteilt. Die Gemeinde stellte ihnen auch Grundstücke am Hardbach zur Verfügung, damit sie sich Gärten anlegen konnten. Diese Gärten lieferten die Nahrungsmittel zum Überleben. In den fünfziger Jahren zogen dann viele Flüchtlinge wieder fort.

Sprecherin: Besatzungsmacht waren die Amerikaner. Viel Neues kam mit ihnen. Ihre Musik begeisterte die Jugend. Man hörte AFN und immer mehr englische Wörter kamen in unsere Sprache und heutzutage sind viele Hits englisch. Diesem Trend haben sich Gesangverein und Singgruppe nicht verschlossen und singen nun „When I get older“ von John Lennon und Mc Cartney.

MGV+SG: When I get older

Sprecher: Zurück zur Zeit nach dem Krieg. Abfälle im heutigen Sinne gab es keine. Alles fand seine Verwendung. Wehrmachtspullover wurden aufgetrennt und aus den Fäden dann Strümpfe oder Handschuhe gestrickt. Haare wurden mit Seife gewaschen und mit warmem Essigwasser gespült. Die Wolle von Schafen wurde gesponnen und mit den grünen Nussschalen braun gefärbt. Es gab einen Frauenüberschuss und die Frauen, die ihr Los durch Kontakte mit den Amis verbesserten, nannte man Ami-Schicks.

Sprecherin: Das waren aber nur wenige. Viele Flüchtlinge arbeiteten bei den Bauern und kamen dadurch an die begehrten Lebensmittel. Städter zahlten bis zu 5 Reichsmark für ein Ei oder tauschten wertvolle Gegenstände wie Teppiche und Porzellanvasen gegen Lebensmittel. Die siebenköpfige Familie Holzinger war im winzigen alten Michhaus untergebracht und sicher hätte sie gerne mit jemandem aus der heutigen Zeit getauscht, der nach unseren heutigen Begriffen unter Wohnungsnot leidet.

Sprecher: Wie kochte und heizte man? Das war ein Problem! Mit einem Leseschein der Gemeinde durfte zwar Holz im Wald gesammelt werden, jedoch ohne Mitnahme eines Beils. Und wie kommt man zu einem Eimer oder einen Kochtopf? Belauschen wir nun das Gespräch von zwei Flüchtlingsfrauen.

(Vorhang auf. Die beiden kommen aufeinander zu. Eine zieht einen kleinen Handwagen, der mit Ästen aus dem Wald bedeckt ist, oben drauf liegt ein Bund Brennnessel; die andere Frau trägt einen Eimer.)

Liesl: So, hast ein wenig Holz geholt! (Schaut sich das Holz näher an) So schöne Äste (Fachausdruck! Knetzli)! Ich war doch vorgestern auch in der Hard und habe fast nichts gefunden, nur ein paar ganz dünne Äste und ein Säckchen voller Fichtenzapfen (Porzelküh).

Maria: Herumliegen tut freilich fast nichts mehr. Da braucht man schon seine Spezialtechniken.

Liesl: Du meinst wohl so etwas wie die Seilwinden und die Flaschenzüge, mit denen die Männer die Wurzelstöcke herausziehen? Mir würde schon ein kleines Beil reichen. Es ist ein Jammer, dass man zum Holzlesen kein Beil mit in den Wald nehmen darf!

Maria: Erwischen darf man sich halt nicht lassen!

Liesl: (schaut sich den Wagen genauer an, langt auch unter die Ladefläche)
Das sagst du so einfach.
Du hast ja doch kein Beil dabei! Neulich habe ich mein Beil unter den kleinen Wagen gebunden aber der Waldaufseher hat es gefunden!

Maria: Und dann hat er dir das Beil weggenommen?

Liesl: Beinahe, mit dem hab ich so meine Mühe gehabt?

Maria: Wie denn das?

Liesl: Wie er so amtlich gekommen ist, habe ich ein wenig schön mit ihm getan,

Maria: Äh! Mit dem alten dreckigen Kerl?

Liesl: Nur halt so ein bisschen. Dann habe ich ihm gesagt, dass wir Frauen immer eine Woche hätten wo es nicht geht und jetzt wäre so eine Woche. Darauf hat er mich in Ruhe gelassen und mir auch das Beil zurückgegeben. Aber seitdem gehe ich immer ohne Beil in den Wald und gebe ihm keinen Grund mehr.
Ich habe gar nicht gewusst, dass du Küken hast?

Maria: Nein, habe ich auch nicht, Wie kommst du denn darauf?

Liesl: Weil du Brennnesseln geholt hast.

Maria: Ich habe gehört, dass man die so wie Spinat machen kann. Das will ich heute einmal probieren. Das, was ich im Garten habe, braucht nämlich noch ein paar Tage. Und meine sechs Leute wollen was zu essen!

Teppiche oder Porzellanvasen hätten wir bei der Flucht mitnehmen sollen. Damit könnten wir dann wie die Städter bei den Bauern Eier, Schinken und Mehl eintauschen. Aber so kriegt unsereiner ja nichts von denen.

Warum hast du denn deinen Eimer (Topf) dabei?

Liesl: Den habe ich gefunden. (nimmt den Eimer und zeigt ihn) Es ist ja eine Schande, was die Leute so alles wegwerfen! Schau her, da sind nur zwei kleine Löcher drin. Die kann der Schmied (Fleischmann) zulöten und dann ist er wie neu.
Ich habe auch noch einen Wehrmachtspullover aufgetrieben. Den will ich auftrennen und aus dem Wollgarn ein Paar Strümpfe stricken. Die sind jedenfalls wärmer als die neumodischen feinen Nylonstrümpfe von den Amis.

Maria: So etwas bekommen wir sowieso nie. Da müsste man sich schon die Lippen rot anschmieren und nach Fürth oder Nürnberg zu den Amis gehen und Ami-Schicks spielen.

Liesl: Dafür sind wir schon zu alt. Aber sag mal, wie hast du die schönen Äste ohne Beil klein bekommen?

Maria: Ohne Beil geht so etwas nicht!

Liesl: Und wo hast du das Beil versteckt?

Maria: Dort, wo kein Waldaufseher hinkommt, wenn er nicht mit meinem Georg in Konflikt kommen will.

Liesl: Und wo ist das?

Maria: (hebt ihren Rock hoch) Da!

(gehen weiter, Vorhang bleibt offen

Sie gehen zum Bürgermeister und überreichen ihm lächelnd das Beil. Dann gehen sie weiter. Auf der Bühne erscheint plötzlich der uniformierte Waldaufseher, der mit einer schrillen Trillerpfeife auf sich aufmerksam macht und ruft)

Waldaufseher: Da ist der Holzdieb! Hab ich ihn endlich! Sie sind verhaftet!

Verhaftet den Bürgermeister


 
 
 
 
Beide verlassen die Bühne, um Bürgermeister Harry Scheuenstuhl lächelnd das Beil zu überreichen
 
Der gefesselte Bürgermeister wird als vermeintlich ertappter Holzdieb vom Waldaufseher abgeführt
 
     
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