Rede anlässlich des Volkstrauertages
am 15.11.2009 in Kirchfarrnbach
gehalten von Klaus Ulrich Knorr

 

„Mein lieber Papi, leider bin ich am 19. schwer verwundet worden. Ich bekam einen Panzerbüchsenschuss durch beide Beine, die sie mir nun abgenommen haben. Das rechte Bein haben sie mir unterm Knie abgenommen und das linke Bein wurde am Oberschenkel abgenommen. Sehr große Schmerzen habe ich nicht mehr.“
Einen Monat später war der junge Mann mit 19 Jahren tot.
Dieses Zitat stammt aus dem Jahre 1943.
Ein einzelnes Schicksal, in dem sich der ganze Irrsinn der beiden Weltkriege widerspiegelt.

Sehr verehrte Damen und Herren,

der Volkstrauertag ist ein Tag des Innehaltens und des Mitgefühls. Wir trauern um die Opfer der beiden Weltkriege, um die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und um die Opfer von Krieg, Terror und Gewalt in unseren Tagen. Wir gedenken der Männer, Frauen und Kinder, die in den Weltkriegen starben, die in der Gefangenschaft oder bei der Vertreibung aus ihrer Heimat ums Leben kamen.
Die Kriege des 20. Jahrhunderts haben Millionen von Opfern gefordert.
Hinzu kommen Millionen Menschen, die verwundet, verstümmelt, entsetzlich entstellt wurden. Unsere Vorstellungskraft versagt, muss versagen, angesichts der enormen Opferzahlen.
So wie die Opferzahlen für uns immer unvorstellbare, anonyme Größen bleiben werden, so konkretisiert sich in persönlichen Zeilen das Leid der Opfer um ihrer Angehörigen.
So wird auch für diejenigen, die – zum Glück – die persönliche Erfahrung des Krieges nie machen mussten, ein wenig fassbarer, was es tatsächlich bedeutet, wenn Lebensläufe jäh zerstört und Zukunft nicht erlebt werden kann.
Aber ist es wahr ? Trauert am heutigen Tag wirklich unser ganzes Volk ?
Nein ! Natürlich nicht. Von Ausnahmen abgesehen, sind es doch überwiegend jene Frauen, Männer, die in ihrer Jugend den Krieg und die Nazidiktatur selbst miterlebten und damals nahe Verwandte verloren haben – Eltern, Geschwister, Onkel, Tanten oder sogar eigene Kinder.
Doch warum trauern nur noch so wenig junge    Leute ? Weil die junge und heutige Generation, ja selbst teilweise schon deren Eltern das Glück hatten, schon immer im Frieden aufzuwachsen. Und das ist auch gut so !
Doch schauen wir einmal über Deutschlands Grenzen hinweg, müssen wir uns doch die zentrale Frage stellen: „Leben wir in einer friedlichen Welt ?“ Nein ! Das tun wir nicht.
Aber wie können wir in unserer Welt Frieden verankern, damit Menschen sicherer Leben können?
Mit dem Einsatz für den Frieden in der Welt engagiert sich die Bundeswehr gleichzeitig für grundlegende deutsche Interessen und unseren eigenen Schutz in Deutschland. Es gibt kaum einen Tag, an dem im Fernsehen nicht über Brutalität, Terror und Krieg berichtet wird. Risiken und Bedrohungen kennen heute weder Entfernungen noch Grenzen.

Deshalb bekämpft die Bundeswehr die Gefahren für unser Land, dort wo sie entstehen, in Afghanistan.
Ein friedliches und stabiles Afghanistan verhindert, dass von dort wieder der Terror in die Welt getragen wird. Entweder bekämpfen wir den Terrorismus in Afghanistan oder der Terror kommt zu uns. Dafür brauchen wir Männer und Frauen, die sich mit ihrer ganzen Kraft für die Würde der Menschen, für Frieden, für Freiheit und Recht einsetzen – aber dafür auch die Risiken in Kauf nehmen.

Dieser Einsatz für Frieden und Freiheit hat seinen Preis. Immer wieder müssen wir schmerzhaft erfahren, dass unsere Friedenseinsätze auch mit Tod und Verwundung einhergehen. Ich erinnere nur an den Tod von 5 Soldaten die allein dieses Jahr gewaltsam und auf heimtückische Art in Afghanistan aus dem Leben gerissen worden sind, sowie bislang 33 Verwundete in 2009.

 

Das Gedenken an die Toten ist für uns auch Mahnung, aus der Vergangenheit Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen und danach zu handeln. Wann immer und wo immer wir heute helfen können, dann müssen wir es tun. Wir dürfen nicht wegschauen, als ginge und das nichts an.
Ich appelliere vor allem an die jüngere Generation, dass wir aus der Geschichte Lehren ziehen müssen. Die Opfer mahnen uns, unseren Auftrag zu erfüllen: weiter an einem friedlichen Europa mit einem demokratischen, verlässlichen Deutschland in seiner Mitte und einer besseren und sichereren Welt zu bauen.

Seit 64 Jahren leben wir in Deutschland nun im Frieden. Die Welt hat uns damals – nach zwei von Deutschland ausgehenden Kriegen – eine dritte Chance gegeben.  Für uns alle erwächst daraus Dankbarkeit. Aus dieser Dankbarkeit entsteht jedoch die Verpflichtung, sich stets bewusst zu werden, wie wichtig es ist, sich immer wieder für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen. Doch Frieden fällt uns nicht in den Schoß. Wir müssen uns für den Frieden einsetzen, jeder Einzelne muss sich für den Frieden einsetzen. Jeden Tag aufs Neue.
Sorgen wir heute dafür, dass wir das immer zu schätzen wissen und dass sich diese schreckliche Geschichte unseres Landes niemals wiederholt !

Ich danke Ihnen.